“Sherlock Holmes ist ein Nerd des 19. Jahrhunderts!”
Aus deutscher Sicht ist Sherlock Holmes der Inbegriff des englischen Gentleman-Ermittlers. Der Titel der Sherlock-Holmes-Anthologie “The Only One in the World” stammt aus dem Roman “Studie in Scharlachrot”, in dem sich Holmes als „der einzige beratende Detektiv der Welt“ bezeichnet. Aber was wäre, wenn Sherlock Holmes nicht in England ermitteln würde, sondern in – Polen? Was, wenn er oder John Watson Inder oder Iren, Australier oder Japaner wären? Wie sähe ihre Welt (und ihre Fälle) aus, wenn einer oder beide einen ganz anderen kulturellen Hintergrund hätten. Die australische Herausgeberin Narrelle M. Harris hat in ihrer jüngst erschienen Anthologie 13 Autorinnen und Autoren eben diese Frage gestellt, und es entstanden Abenteuer, die nicht nur nationale Grenzen, sondern auch die Grenzen von Zeit und Geschlecht sprengen.
Mit von der Partie in diesem Reigen von Neuinterpretationen ist die Berliner Autorin Lisa Feßler. Und darum geht es in ihrer Kurzgeschichte: Berlin 1893, der größte Detektiv aller Zeiten wohnt in der Sophienstraße 21. Sherlock Holms hat eine neue Obsession: das Fahrrad. John Watson freut sich auf einen ruhigen Sommertag, an dem er sich ganz in das neue Buch seines Lieblingsautors vertiefen kann. Da schickt Frau Huber den beiden einen Besucher hoch, mit einem sehr rätselhaften Fall.
„Sherlock Holmes ist ein Genie und ein sozialer Außenseiter – ich glaube, deshalb fasziniert die Figur heute immer noch: er wohnt zur Untermiete, ist nicht verheiratet, hat kaum Freunde, geht keinem geregelten Beruf nach, nimmt auch mal Kokain, und kümmert sich nicht besonders darum, was die Gesellschaft von ihm hält“, sagt Lisa Feßler. „Und gleichzeitig ist er ein hyperscharfer logischer Denker mit dem seltsamsten Spezialwissen und dafür Wissenslücken bei Dingen, die eigentlich alle wissen. Weil er ein Genie ist, wird er von der Polizei, aber auch vom europäischen Adel beauftragt – weil er eben der Beste auf seinem Gebiet ist. Sherlock Holmes ist ein Nerd aus dem späten 19. Jahrhundert.“
- Lisa Fessler, „The Problem of the Lying Author“, in The Only One in the World – A Sherlock Holmes Anthology, hg. von Narrelle M. Harris (Clandestine Press, 2021). Das Buch kann man hier als Ebook bekommen.
- Lisa Feßler ist mit dabei in der KommPlot-Anthologie “Das rote Tuch. Eine phantastische Reise durch die Zeit“. Mit ihrer Kurzgeschichte in diesem Buch bleibt sie ihrer Stärke treu. Diese spielt ebenfalls in einem alternativen Berlin des 19. Jahrhunderts. ZUR BUCHSEITE
Lisa Feßler ist das Pseudonym der Lektorin und Übersetzerin Lisa Kuppler. Sie hat u. a. die Anthologien “Queer Crime” und die 12-bändige “Astrokrimi”-Reihe herausgegeben. Als Dozentin für kreatives Schreiben lehrt sie an der Autorenschule Schreibhain Berlin. Seit 2020 ist sie Co-Leiterin der Schreibakademie am Nordkolleg Rendsburg. Lisa Kuppler wuchs in Süddeutschland auf und studierte Amerikanistik und Geschichte in Tübingen und Eugene, Oregon. Berlin ist ihr zur zweiten Heimat geworden. In ihrer Freizeit schreibt sie Fanfiction. Sie hat zu fast jeder der 60 Sherlock-Holmes-Geschichten ein 60-Wort-Kurzdrabble geschrieben. Auf der Seite „The Only One in the World“ auf der Website der Autorin finden sich noch mehr Informationen zur Geschichte.
- Ein ausfühliches Interview mit Lisa Feßler, in dem sie von der Arbeit an ihrer Kurzgeschichte in der Sherlock-Holmes-Anthologie erzählt, findet ihr hier.
- Ein englisches Interview mit Lisa Feßler gibt es auf der Homepage der Herausgeberin Narrelle M. Harris. Auf ihrer Homepage verrät die Herausgeberin auch etwas über ihre Zusammenarbeit mit Lisa Fessler.